Nicht zum hoffentlich letzten Mal waren wir am vergangenen Wochenende in Mannheim auf dem Maifeld Derby.
Das Line Up präsentierte sich erneut außergewöhnlich und speziell. Von Indie Rock über Hip Hop und Rap waren nationale und international Acts am Start.
Den ersten Festivaltag begannen wir mit dem aus Mailand stammenden Andrea Poggio, der bei noch leichtem Regen mit seiner sanften Stimme auf der Fackelbühne italienisches Flair verbreitet. Wir fühlten uns also wie zu Beginn eines Italien Urlaubs, nicht zuletzt wegen seiner passenden Single Mediterraneo, zu welcher es dann eine Choreographie gab und wir so direkt mit einbezogen wurden.
Schon fast etwas düsterer ging es bei P.A. Hülsenbeck im Parcours d’Amour zu Gange. Das ehemalige Mitglied von Sizarr setzt auf melancholische Stimmungen, Schwermut, Trompetentöne und vorantreibende Drums.
Yin Yin zogen mit ihrem weltoffenen Mix aus 60er, 70er Jahre psychedelischem und südostasiatischen Sound ziemlich viele Menschen ins Hüttenzelt und rollen uns alle ein in ihren bunten, schwebenden Soundteppich.
Die Mädels von Gurr sind mit ihrem Garage, Punk, Indie Rock gerade so angesagt, dass sie auch in den USA, Kanada und Großbritannien ziemlich gefragt sind. Andreya Casablanca und Laura Lee sind gemeinsam mit ihren Bandkollegen laut und rocken, schrammeln auf ihren Gitarren, verzerren sie und hauen auf die Drums. Die Fackelbühne wackelt mindestens genauso sehr wie das Maifeld Publikum und das nicht nur bei ihrem großen Hit Moby Dick.
Wayne Graham sind die beiden Brüder Kenny und Hayden Miles aus Kentucky. Klingt schon folkig – ist es auch. Ihr inzwischen viertes Studioalbum Mexico aus dem Jahr 2016 war zugleich das erste, welches in Europa erschienen ist. Es folgte im vergangen Sommer das Album Joy, von welchem die meisten Tracks ihres Sets stammen.
Und als die beiden loslegen und wir so auf den Treppen des Parcours d’Amour sitzen, fühlen wir uns wie auf einer Veranda in Kentucky, schauen hinaus über die weite Steppe, mal hier mal da sehen wir einen Cowboy, ein Steckenpferd oder einen einsamen Wolf vorbeiziehen.
Im wahrsten Sinne des Wortes reißt uns das Duo Sleaford Mods aus jeglicher Träumerei. Die lauten Briten strotzen nur so vor Energie und Wut über die Elite ihres Heimatlandes. Es werden Songs geballert und es findet ein gebend und nehmender Austausch mit dem Publikum statt. Selten oder noch nie haben wir innerhalb von 60 Minuten so oft das Wort Fuck gehört, aber zu recht. Zu Recht!
Ebenfalls aus den UK stammen Hot Chip. Sie sind an diesem Freitag Abend aber eher für das Tanzen zuständig. Stillstehen geht zu den vorwärtsreibenden Indie Beats auf gar keine Fall. Alexis Taylor, Joe Goddard, Owen Clarke, Felix Martin und Al Doyle scheinen es gerade so darauf anzulegen, dass man während ihres Sets komplett durchtanzen muss. Zum Glück haben wir erst den ersten Festivaltag in den Beinen und können uns voll verausgaben.
HVOB denken ebenso wenig daran, uns eine Verschnaufpause zu gönnen und so legt das österreichische Produzenten-Duo noch eine Schippe drauf und lässt uns bis um 2:00 Uhr weiter tanzen.
Kirchner Hochtief ist eigentlich keine Band, sondern ein ganzes Künstlerkollektiv um David Julian Kirchner. Das Debüt nennt sich Evakuiert das Ich-Gebäude und lässt sich nicht eindeutig einordnen. Einerseits sind die Songs Pop, widerlegen sich aber ständig in sich selbst. Das bunte Kunstwerk des Kollektives berieselte uns am frühen Samstag Mittag und war dabei beruhigend, aber auch aufwühlend zugleich.
Überrascht hat uns alle der diesjährig Surprise Slot am Festival-Samstag, welcher im Timetable des Maifeld Derbys für den Parcours d’Amour aufgetaucht war. Wie alle waren auch wir sehr gespannt auf den Act, der diesen füllen sollte. Also machten wir uns rechtzeitig auf den Weg zum Parcours – zum Glück, denn wie sich kurze Zeit später herausstellte, war ab einem gewissen Zeitpunkt ein Einlass Stop. Und wer kam dann auf die Bühne? Annenmaykantereit! Viele Worte braucht man über die Band aus Köln nicht mehr verlieren, sie gehören zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Bands der letzten Jahre. Es ist immer wieder beeindruckend, welche gewaltige Stimme Sänger Henning May hat und wie sie durchweg alle und jeden begeistert. Auch Von Wegen Lisbeth, die sie aus der ersten Reihe abfeiern. Das Maifeld ist entzückt und singt so laut es kann.
Les Big Byrd sind Jocke Åhlund und Frans Johansson, Nino Keller und Martin Ehrenkrone – eine Art Supergroup aus Schweden. Åhlund und Johansson sind unter anderem auch Musiker bei den Teddybears und The Soundtrack of our Lives.
Ihr Sound liegt irgendwo in den 60er Jahren mit viel Krautrock Einflüssen, aber auch die Psychedelik Schiene lassen die Schweden nicht aus. Heraus kommt eine doch sehr interessante PopRock Show. Dem Maifelder Publikum gefällt es, denn es passt hervorragend in dieses dunkle Zelt mit seiner glitzernden Disco Kugel.
Spiral Drive haben ein Heimspiel im Hüttenzelt. Die Mannheimer Band um Produzent Raphael Neikes trumpft mit ihrem Indie Sound auf und beeindruckt durch gediegen peitschende Gitarrenriffs. Gefällt uns sehr.
DeStaat aus den Niederlanden eilt der Ruf voraus, auf sämtlichen Festivals einen Abriss hinzulegen voraus. Können wir uns natürlich nicht entgehen lassen und so überzeugen wir uns vor Ort. Die Fackelbühne ist dementsprechend am wackeln, als die Beats der Truppe aus den Boxen schallen und vor der Bühne wirbeln sämtliche Moshpits den Staub auf. Party!
Zum einen konnte der Mike Skinner auf jeden Fall mit seiner charmanten britischen Art Punkten und dann hat er mit The Streets eine starke Band im Rücken. Auf jeden Fall erntete er im voll gepackten Zelt Applaus und man hing förmlich an seinen Lippen. Er schenkte der ersten Reihe teures Getränke ein, ritt auf einem Einhorn über die Menge und sogar ein Küsschen auf die Stirn gab es. Publikumsnah war der Skinner Mike schon immer. Andererseits könnte man aber bemängeln, dass er während der 80 Minuten zu 80% nur gelabert hat, die restlichen 20% wurden wir mit seinen Hits beschenkt, wovon seine The Streets eigentlich zu 15% für die musikalische Komponente zuständig war und Herr Skinner, gemeinsam mit dem Publikum!, insgesamt vielleicht an 5% mit seinen Rap Parts beteiligt war.
Bei Stephen Malkmus & The Jicks hingegen lief es hervorragend. Die Indie Rock Ikone Stephen Malkmus überzeugt uns auf ganzer Linie mit seiner Band. Seine Songs sorgen für große Entspannung am Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein – perfekt. Experimentierfreudige Indie Rock Songs, ein bisschen Country und das Gefühl, das alles in Dauerschleife hören zu wollen.
Unser großes Highlight ist Kevin Morby im Palastzelt. Der Musiker spielt sich durch den prallen Katalog seiner Hits und schafft es, sowohl Rock’n’Roll Momente wie auch sehr intime, emotionale Momente zu schaffen und ja – wir drücken ein paar Tränen weg. Hail Mary, City Music, Dry Your Eyes, Beautiful Strangers. Wir sind verliebt. Nicht nur, weil Kevin Morby am Ende Rosen im Publikum verteilt.
Das 20-jährige Jubiläum ihres Albums Industrial Silence ist Grund genug für Madrugada, aus den Tiefen Norwegens aufzutauchen und zurück auf die europäischen Bühnen zu kehren. Beim Maifeld Derby sorgen Madrugada mit ihrem düsteren Rock für den ein oder anderen extrovertierten positiv belegten Ausraster im Publikum.
Tocotronic gehören zur festen Instanz bei Festivals und eigenen sich hervorragend zum vollbrünstigen mitsingen, weil jeder kennt mindestens einen Song der Hamburger um Dirk von Lowtzow.
Dann wird es schwierig, da Faber und Amyl And The Sniffers ungefähr zur selben Zeit spielen und wir wissen, dass beide Acts live richtig gut sind.
Wir beginnen bei Faber, der im gefühlt vollsten Palastzelt – ever spielt und bei dem jedes Wort so laut mitgesungen wird – dass wir es kaum glauben können. Doch wir erinnern uns an seinen Auftritt vergangenes Jahr in Stuttgart, da hat er den Laden ebenso abgerissen.
Wir rennen schnell rüber ins Hüttenzelt, wo wir Amyl And The Sniffers – trotz der Konkurrenz im Palastzelt – in einem doch gut gefülltem Hüttenzelt vorfinden. Gleich vom ersten Song an herrscht auf der Bühne eine Eskalation, die sich dann direkt ins Publikum überträgt. Das ist Punk – kein Wunder sind die Beine von Sängerin und Rampensau Amy übersät mit blauen Flecken.
Nach 60 Minuten Vollgas wechseln wir schnell wieder rüber ins Palastzelt.
Auch dort scheint es in der vergangen Stunde heiß hergegangen zu sein, der Dampf der uns beim betreten entgegenkommt, ist kaum auszuhalten. Aber das ist schnell vergessen, denn wenn ein ganzes Zelt so laut es kann Tausendfrankenlang singt, vergisst man wohl alles um sich herum und genießt genau diesen einen besonderen Moment mit ganzen vielen Menschen, die so sehr mit Musik verbunden sind, wie man selbst.
Und so verlassen wir nach Faber, ganz schwermütig das Gelände des Maifeld Derbys und hoffen so sehr, im Jahr 2021 wieder hierher zurückkehren zu dürfen.
Noch mehr Fotos vom Maifeld Derby 2019 findet ihr hier.
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